Die Differenzen zwischen Supervision und Coaching
Bei Supervision und Coaching handelt es sich um berufsbezogene Beratungsformen. Neben dieser Gemeinsamkeit weisen sie einige wesentliche Unterschiede auf. Diese zentrieren sich auf drei Punkte:
• Coaching richtet sich an die Zielgruppe der Führungskräfte, Supervision an die der Geführten.
• Coaching ist primär Personalentwicklung, während Supervision vielfach in „Personenentwicklung“ besteht.
• Coaching strebt Veränderung von oben an, während Supervision Veränderung von unten intendiert.
1. Differenzen im Hinblick auf die Zielgruppen
In der Mehrzahl aller einschlägigen Publikationen, empirischer (Jüster, Hildenbrand, Petzold 2002, Müller 2002 u.a.) wie nicht-empirischer Art (Rauen 2002, Rückle 2002, Schreyögg 1995 u.a.) wird Coaching als Beratungsform für Führungskräfte verstanden. Es dient Menschen mit Managementfunktionen auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen und in unterschiedlichen Arbeitsfeldern zur Beratung. Es kann also dem Vorarbeiter wie dem Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens nützlich sein. In der Managementlehre unterscheidet man Management- d.h. Steuerungsfunktionen von Sachfunktionen. Unter „Sachfunktionen“ fasst man all die Tätigkeiten, die Organisationsmitglieder zur Erreichung basaler Organisationsziele ausführen. In diesem Verständnis sind die Aktivitäten von Psychotherapeuten, von Sozialarbeitern oder von Krankenschwestern in Kliniken ebenso als Sachfunktionen zu bezeichnen wie die Tätigkeiten von Monteuren in Automobilfabriken oder die Arbeit von Verkäuferinnen in Warenhäusern. Wenn Menschen für solche basalen Aktivitäten in Organisationen beraten werden, spricht man von „Supervision“. Wenn sie dagegen für Managementfunktionen Beratung erhalten, handelt es sich um Coaching.
1.1. Differenzen im Hinblick auf die zu beratenden Funktionen
Historisch wurde Supervision als „clinical supervision“ tatsächlich an grundlegenden organisatorischen Funktionen, zunächst sozialarbeiterischer, später auch psychotherapeutischer Art entwickelt (Belardi 1992). Im weiteren Verlauf dehnte man sie auf andere Felder des sozialen Dienstleistungsbereichs aus wie auf psychiatrische Kliniken (Eck 1999), auf die Altenhilfe (Belardi 1999) und auf Schulen (Palzkill 1995, Schreyögg 2000 u.a.). Heute versucht man diese „clinical supervision“ auch in Feldern außerhalb des sozialen Dienstleistungsbereichs zu etablieren wie in der öffentlichen Verwaltung ( Welling 1999, Seiler 1999) und in Wirtschaftsbetrieben. Im zuletzt genannten Bereich scheitert eine Implementierung von Supervision allerdings meistens schon am Begriff. Als „Supervisor“ bezeichnet man nämlich etwa bei McDonalds eine Person aus dem mittleren Management, die als Filialleiter alle ihre Mitarbeiter zu führen hat und die gelegentlich durch einen „Chiefsupervisor“ bei ihrer Aufgabenerfüllung kontrolliert wird. Hierbei handelt es sich um „administrative supervision“, also um eine Linien- d.h. Führungsfunktion, die sich mit den traditionellen Intentionen von „clinical supervision“ als Beratungsform nicht deckt. Wenn man allerdings als ausgebildeter Supervisor - freiberuflich oder als Mitglied einer entsprechenden Personalentwicklungsabteilung - den Verkäufer in einem Autohaus für seine tagtägliche Aufgabenerfüllung berät, ließe sich dies durchaus als „Supervision“ im Sinne einer beratenden Interaktion bezeichnen. Aus den besagten Gründen bieten sich hier aber eher Begriffe wie „Schulung“ oder „Training“ an.
Ein leitender Sozialarbeiter, die Stationsleiterin einer Klinik oder der Abteilungsleiter in einem Warenhaus haben neben Sachfunktionen auch Managementfunktionen zu versehen. Sie müssen nämlich Aktivitäten von ihnen formal unterstellten Mitarbeitern koordinieren. Das heißt, sie haben die Arbeit einer Abteilung zu planen, Dienstpläne anzufertigen oder für ihre Anfertigung zu sorgen, sie haben Urlaubszeiten zu registrieren, Konflikte zwischen Mitarbeitern zu regeln usw. In Führungspositionen auf unteren hierarchischen Ebenen fallen allerdings vergleichsweise wenig Managementaufgaben an, so dass sie in der Regel nur einen kleinen Teil des beruflichen Zeitbudgets in Anspruch nehmen. Die restliche Zeit ist wie bei den Mitarbeitern angefüllt mit der Realisierung von Sachfunktionen. Wenn Führungskräfte in der Hierarchie eines Systems aufsteigen, haben sie zunehmend mehr Managementfunktionen zu übernehmen, während das Ausmaß der Sachfunktionen abnimmt. So muss die Stationsleiterin einer Klinik neben einigen wenigen Managementfunktionen noch vergleichsweise viel in der Pflege tätig sein. Eine Pflegedienstleiterin dagegen wird nur selten am Krankenbett aushelfen, denn ihr Arbeitstag ist mit vielen Managementaufgaben angefüllt. Und die Pflegedirektorin, die in modernen Kliniken als gleichberechtigtes Mitglied im Direktorium fungiert, wird ausschließlich Managementfunktionen wahrnehmen. Patienten sieht sie nur noch von weitem. So lässt sich als Faustregel formulieren: Je höher eine Person in der formalen Hierarchie eines Systems aufsteigt, desto mehr Managementfunktionen hat sie zu versehen, bzw. desto seltener ist sie mit Sachfunktionen befasst.
Dementsprechend fallen bei der Beratung einer Stationsleiterin noch viele Themen im Bereich der Sachfunktionen an, wie sie etwa die Interaktionen zu Patienten menschlich adäquater gestalten könnte. Und dabei handelt es sich um klassisch supervisorische Fragestellungen. Wenn dieselbe Stationsleiterin allerdings Führungsprobleme mit ihren formal unterstellten Pflegerinnen thematisiert oder ihre Stellung im Klinikgesamt, handelt es sich um Coaching. Bei der Beratung von Personen auf dieser Position werden sich also Supervision und Coaching überschneiden. Je höher eine Person in der Hierarchie eines Systems aufsteigt und dementsprechend immer mehr Managementfunktionen wahrzunehmen hat, desto deutlicher handelt es sich dann bei ihrer Beratung um Coaching.
1.2. Differenzen im Hinblick auf die Wissensbestände der Berater
Aus diesem zielgruppenspezifischen Unterschied, bzw. aus der Differenz zwischen Management- und Sachfunktionen folgt auch, dass Coach und Supervisor über nuanciert unterschiedliche Wissensbestände verfügen müssen. Wenn Personen mit Managementfunktionen bei ihrer Aufgabenerfüllung zu unterstützen sind, muss man sich im Vorfeld auch mit genau diesen Funktionen und ihrem Kontext vertraut machen. Das heißt zunächst, man braucht breit angelegte administrative Kenntnisse, unter denen besonders moderne Ansätze aus den Bereichen „Personal“ und „Führung“ im Coaching thematisiert werden. Hier ist es empfehlenswert, sich mit modernen Managementkonzepten aus der Betriebswirtschaftslehre (Staehle 1998, Scholz 2000, Oechsler 2000, Steinmann & Schreyögg, G. 2000 u.a.) zu befassen und aus der Arbeits- und Organisationspsychologie (v. Rosenstiel, Regnet, Domsch 1999 u.a.).
Da sich Führungsfunktionen prinzipiell in Organisationen vollziehen, ist es auch notwendig, dass der Coach über einen breiten Fundus an organisationsanalytischen Mustern (Kieser 1993, Türk 1989, Schreyögg, G. 1999 u.a.) verfügt. Erst mit deren Hilfe lassen sich nämlich die vielfältigen Relationen zwischen der Führungskraft und ihrem organisatorischen Umfeld zuordnen. Organisationen bilden aber nun keine selbstgenügsamen Inseln ohne Umfeld. Sie befinden sich vielmehr in spezifischen gesellschaftlichen Kontexten, die ihrerseits Managementhandeln beeinflussen. So müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass moderne Formen des Kapitalismus in einer globalisierten Welt zu einem generell erhöhten Stresspegel führen (vgl. Sennett 1998). Wir müssen außerdem zur Kenntnis nehmen, dass die Planwirtschaft, selbst nach ihrem Untergang, immer noch in aktuelle betriebliche Kontexte hinein ragt (Schreyögg 2002). Neben Analysekompetenzen benötigt der Coach auch Methodenkompetenzen, um alle diese Kontextphänomene angemessen zu bearbeiten. Zu diesem Zweck wird er Organigramme, Funktionsdiagramme oder Panoramen unterschiedlicher Art heranziehen (Schreyögg 1995).
Nun lässt sich allerdings nicht behaupten, dass ein Coach auf den Wissensbestand von Supervisoren verzichten könnte. Wie ich im nachfolgenden Abschnitt noch zeigen möchte, zeichnen sich Supervisionskonzepte schon qua Tradition durch eine sorgfältige Auseinandersetzung mit beruflichen Interaktionen aus. Und da Führungskräfte in vielfältigen interaktiven Bezügen stehen, ist es fast selbstverständlich, dass ein qualifizierter Coach auch über supervisorische Kompetenzen verfügt. Vereinfacht gesagt, Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene treten nicht nur zwischen Psychotherapeuten und ihren Klienten auf, sondern auch zwischen Vorgesetzten und unterstellten Mitarbeitern.
In der letzten Zeit mehren sich sogar die Stimmen, dass ein guter Coach über breite psychodiagnostische, also im Prinzip über psychotherapeutische Qualifikationen verfügen sollte. Es zeigt sich nämlich immer häufiger, dass sogenannte Business Coaches, die Wirtschaftsmilieus entstammen oder womöglich dem Sport, Probleme von Managern viel zu vordergründig oder zu faktizistisch behandeln (Berglas 2003). Auf diese Weise werden Probleme nicht nur verschleppt, sondern oft sogar verschlimmert. So geht es bei Durchsetzungsproblemen von neu ernannten Führungskräften selten nur darum, ihr Verhalten im Sinne von strikteren Forderungen gegenüber den Mitarbeitern zu modifizieren. Vielfach mangelt es an Sensibilität für soziale Konstellationen, an Mut, sich als Vorgesetzter zu definieren oder an anderen relevanten Potentialen. Solche Mängel sind oft in der Biographie verankert und lassen sich vielfach nur dann beheben, wenn im Coaching auch Biografisches rekonstruiert und zur aktuellen Situation in Beziehung gesetzt wird. Wenn sich allerdings biographische Exkurse über mehrere Stunden hinziehen, gleitet das Coaching ins Therapeutische ab. Deshalb sollten derartige Rekonstruktionen die Ausnahme bilden. Im anderen Fall ist dem Klienten Psychotherapie anzuraten.
2. Differenzen im Hinblick auf Personal- versus „Personen“ – Entwicklung
Wie Neuberger (1994) eingehend darstellt, handelt es sich bei „Personal“ um einen Aggregatbegriff aus der Managementdebatte. Dabei geht es zunächst ohne Ansehen des einzelnen Menschen um die Mitarbeiterschaft einer Organisation, die qua Arbeitsvertrag verpflichtet ist, die Ziele des organisatorischen Systems möglichst optimal zu realisieren. Aus dieser Sicht handelt es sich bei „Personal“ vergleichbar den Maschinen einer Firma um ein Produktionsmittel. Im Gegensatz aber zu Maschinen erweist sich das „Produktionsmittel Personal“, das ja aus Menschen besteht, als „sperrig“, denn es verfügt über „Eigensinn und Eigenwert“ (ebd. 1994, S. 14). Aus diesem Grund muss es entsprechende Entwicklungsprozesse durchlaufen. Das heißt, es muss durch Maßnahmen der Personalentwicklung für seine spezielle Aufgabenerfüllung sozialisiert werden. Erst dadurch mutiert es zum optimalen Funktionsträger. Bei „Personenentwicklung“ handelt es sich demgegenüber um Anstöße zur Entfaltung individueller menschlicher Potentiale, wie es besonders pointiert in Selbsterfahrungsgruppen geschieht. So lässt sich als grobe Faustregel formulieren: Personalentwicklung akzentuiert die Förderung menschlicher Funktionsträger, Personenentwicklung dagegen akzentuiert die Entwicklung der Menschen selbst.
Trotz mancherlei Überschneidungen liegt nun durch die Traditionen von Supervision auf der einen Seite und Coaching auf der anderen der Fokus der Formate entweder mehr auf der Personal- oder mehr auf der „Personen“ -Entwicklung“.
2.1. Die Entwicklungsgeschichte von Coaching als Maßnahme der Personalentwicklung
Der Entwicklungsgeschichte von Coaching hat sich vor allem Uwe Böning (2002) angenommen. Er unterscheidet sechs Phasen:
(1) Der Ursprung: Der Begriff wurde zu Beginn der 80er Jahre in den USA aus dem Sport fürs Management übernommen. Hier stand er zunächst für eine mitarbeiterorientierte Führungshaltung, die dort bislang noch wenig praktiziert wurde.
(2) Erweiterung: In den nächsten Jahren erhielt Coaching zunehmend die Bedeutung organisationsinterner Karriereförderung. Hochpositionierte Manager förderten als Mentoren erfolgversprechende Nachwuchstalente. Diese Variante wurde später oft als „Mentoring“ bezeichnet.
(3) Der „Kick“: „Was in den USA auf der mittleren Hierarchieebene begann, verwandelte sich nach dem Import in Deutschland in zweifacher Hinsicht“ (Böning 2002, S. 27): Coaching richtete sich hier primär aufs Topmanagement, und es wandelte sich bereits zu Beginn der 90er Jahre zu einer Beratungsform durch externe Berater. Zentrale Themen waren die Wahrnehmungs- Verhaltens- und Kommunikationsmuster von Führungskräften. Die Pionierphase in Deutschland hatte nun wieder Rückwirkungen auf die USA. Dort wurde Coaching ab dieser Zeit gleichfalls zunehmend als Beratungsform praktiziert (Berglas 2002). Seminarangebote zur „Führungskraft als Coach“ finden sich heute im wesentlichen dort, wo Trainer altbackene Führungstrainings in neuer Verpackung vermarkten wollen.
(4) Systematische Personalentwicklung: Im Verlauf der 90er Jahre avancierte Coaching zu einem festen Bestandteil systematischer Personalentwicklung für Führungskräfte. Dabei differenzierte es sich in interne und externe Varianten. Als organisationsinterne Maßnahme, die von Mitarbeitern aus firmeneigenen Personalentwicklungsabteilungen durchgeführt wird, richtet es sich in der Regel an Führungskräfte mittlerer und unterer Hierarchieebenen. Führungskräfte aus dem Top-Management werden dagegen fast ausnahmslos von externen Beratern betreut. In vielen Fällen, etwa anlässlich von Problemen mit 360 Grad Beurteilungen, finden wir Kombinationen von ex- und internem Coaching. Interne Coaches bereiten die Führungskräfte für ein Coaching durch externe vor.
(5) Differenzierung: Gegen Ende der 90er Jahre differenzierte sich Coaching im Hinblick auf seine Settings. Neben Formen der Einzelberatung wurden solche für Gruppen und für Teams entwickelt. Außerdem verwendete man Coaching zunehmend zur Unterstützung bei Reorganisationen. Der Begriff Coaching avancierte insgesamt zum Begriff einer „vertieften, psychologisch ausgerichteten Beratungsmethodik“ (Böning 2002, 28), die heute in Firmen unterschiedlicher Branchen, in Verwaltungssystemen, im sozialen Dienstleistungsbereich und sogar in kulturellen Milieus praktiziert wird.
(6) Populismus: Im Zuge seiner zunehmenden Verbreitung fand Coaching in unterschiedlichen Kontexten Verwendung, was sich auch begrifflich manifestierte in „Time-Coaching“, „EDV-Coaching“, „TV-Coaching“ usw. Hier finden wir neben platter Trittbrettfahrerei auch allerhand ernst zu nehmende Maßnahmen, bei denen Führungskräfte für diese oder jene inner- oder außerbetriebliche Aufgabe vorbereitet werden. Die Kernziele bleiben jeweils die Förderung der Führungskraft zum optimalen Funktionsträger. Im Sinne einer psychologischen Beratungsform ist allerdings immer auch die menschliche Seite zu berücksichtigen.
2.2. Die Entwicklungsgeschichte von Supervision als Maßnahme der „Personenentwicklung“
Die Entwicklungsgeschichte von Supervision ist ursprünglich durch zwei unterschiedliche Stränge charakterisiert, durch einen sozialarbeiterischen und einen psychotherapeutischen. Der sozialarbeiterische Strang, der vielfach auch als „generelle Supervision“ firmiert (Schreyögg 1991) wurde von Weigand (1989) unter Bezug auf Wieringa (1979) und im Weiteren von Belardi (1992) beschrieben. Die beiden Stränge sind allerdings über große Strecken zu einem einzigen verschmolzen. Die Gesamtentwicklung von Supervision lässt sich in drei Phasen untergliedern:
(1) Die Administrative Phase: Als administrative Funktion resultierte Supervision zunächst aus ehrenamtlichen Milieus der Armenhilfe in amerikanischen Großstädten. Dort hatte in den sogenannten Charity Organization Societies zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein fest angestellter Administrator (=„Supervisor“) eine Vielzahl von ehrenamtlichen Helfern – zumeist allerdings Helferinnen - zu koordinieren. Neben seinen administrativen Funktionen hatte er sie bei ihrer Aufgabenerfüllung zu unterstützen. Dabei ging es um äußere Handlungsmuster der Helferinnen, mit welchen Methoden etwa die zu fördernden Menschen für eine sinnvolle Tagesgestaltung zu gewinnen sind usw. Aus den ehrenamtlichen Aktivitäten der Charity Organization Societies entwickelte sich im Verlauf der 20er Jahre die amerikanische Sozialarbeit, die dann auch die Funktionen des Supervisors beibehielt. Das heißt, die angehenden Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen in den USA haben sich bis heute von ihren Ausbildern oder von ihren vorgesetzten Sozialarbeitern für ihre Aufgabenerfüllung qua Supervision unterstützen zu lassen.
(2) Die Therapeutische Phase: Diese administrative Phase wurde im Verlauf der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts durch eine „Therapeutisierung von Supervision“ abgelöst. Die wirtschaftliche Situation der meisten Amerikaner hatte sich nämlich nach Ende des zweiten Weltkrieges erheblich verbessert. So waren die Sozialarbeiter seltener mit wirtschaftlichen, als vielmehr mit psychischen Komplikationen von Menschen konfrontiert. Daraus entwickelten sich das „social casework“ und das „social groupwork“, für die man sich im Prinzip psychotherapeutischer Ansätze bediente. Diese Arbeitsformen mussten aber nun auch anders als bisher supervidiert werden. Jetzt ging es nämlich zunehmend um die Person des Professionellen als Interaktionspartner von Klienten. Es setzte sich die Überzeugung durch, dass der Erfolg von Sozialarbeit primär durch ein gutes persönliches Reifeniveau und/oder durch einen möglichst niedrigen Grad an personalen Defiziten auf Seiten des Professionellen verursacht ist. Aus diesem Grund bediente man sich auch in der Supervision von Sozialarbeitern umfassend therapie-ähnlicher Verfahren. Ein Teil von Supervisoren folgte psychoanalytischen Ansätzen, die eher die Defizite von Professionellen akzentuierten, ein anderer Teil orientierte sich an humanistisch-psychologischen Konzepten, die Ressourcen-orientiert eher die Potentiale von Professionellen mobilisieren wollten. Im Prinzip wird die amerikanische Supervision in der Sozialarbeit bis heute durch individualisierende Therapiekonzepte (Stoltenberg, Delworth 1987, Belardi 1994) bestimmt. Das Modell für diese Vorgehensweise entstand bereits um 1925 in genuin psychotherapeutischen Zusammenhängen. Im Rahmen der Entwicklung seiner Psychoanalyse hatte Freud die Forderung erhoben, dass sich Professionelle in der sogenannten Lehranalyse umfassend mit ihrer Biographie auseinandersetzen sollen. Und im weiteren Verlauf entstand die Forderung, die ersten eigenen analytischen Arbeiten der Ausbildungskandidaten in der sogenannten Kontrollanalyse (Schlesinger 1981) zu „kontrollieren“, d.h. im hier unterlegten Verständnis zu supervidieren. Dabei folgt die Kontrollanalyse diagnostisch und methodisch dem psychoanalytischen Grundverfahren. Im Vordergrund stehen interaktive Phänomene wie Übertragungen und Gegenübertragungen sowie Widerstandsphänomene. Entsprechend den basalen Paradigmen der Psychoanalyse geht es auch hier um Fragestellungen, inwieweit durch einen Klienten pathologisches Material aus der Biographie des Professionellen aktiviert wird, das die Interaktion zu Klienten beeinträchtigt (Wallerstein 1981). Im weiteren Verlauf entwickelten alle psychotherapeutischen Schulen Supervisionskonzepte zur Ausbildung von Psychotherapeuten. Die Konzepte therapeutischer Supervision waren jeweils an dem zu lehrenden Therapieansatz ausgerichtet. Diese therapeutische Supervisionstradition floss nun in Ansätze der generellen Supervision ein, wodurch die sozialarbeiterische und die psychotherapeutische Supervisionstradition nahezu deckungsgleich wurden. Alle diese Ansätze zielen prinzipiell auf eine personelle Entwicklung der Supervisanden. Ihre Funktionsfähigkeit im Sinne von Personalentwicklung wurde dagegen selten zum Thema. Im Gegenteil, viele Supervisoren versuchen ganz bewusst ihre Supervisanden anhand ihrer beruflichen Themen personell zu fördern.
(3) Die kontext-orientierte Phase: Da mit diesen therapeutischen Supervisionskonzepten vielerorts sogar Teams größerer Einrichtungen supervidiert wurden, regte sich im deutschsprachigen Raum im Verlauf der 80er Jahre Widerstand gegen diese Art der Supervision. Sie wurde jetzt zunehmend als „individualisierend-therapeutische Engführung“ der amerikanischen Supervisionstradition begriffen (Belardi 1994). In Anbetracht der Tatsache, dass Sozialarbeit – zunehmend auch Psychotherapie - in organisatorischen Kontexten stattfindet, entwickelte sich die Einsicht, dass dieser Kontext auch in die Rekonstruktion beruflicher Arbeit und dementsprechend in die Konzepte von Supervision einzubeziehen sei. Ab dieser Zeit verlegte sich eine Vielzahl von Supervisoren auf die Entwicklung alternativer Konzepte. Da Supervision aber durch ihre Traditionen aus dem sozialen Dienstleistungsbereich fast durchgängig als beziehungsorientierte Arbeitsform begriffen wurde und wird, präferierte man Ansätze, die das Zwischenmenschliche bzw. das Informelle betonen. Analysen formaler Konstituenten von Organisationen und damit der Einbezug organisationstheoretischer Positionen bildeten die Ausnahme (z.B. Buer 2001). Im Vordergrund stehen bis heute gruppen-, familien- oder kommunikationstherapeutische Modelle als Basis für die Kontextbetrachtung in der Supervision. Unter den gruppentherapeutischen Ansätzen werden solche favorisiert, die eine Gruppe als System begreifen wie Bion (1961) oder Foulkes (1978) es taten. Unter den familientherapeutischen Ansätzen werden besonders oft Selvini-Palazzoli et al. (1988) bemüht und bei den kommunikationstherapeutischen am häufigsten Watzlawik et al. (1967). Alle diese Konzepte verharren zumeist an emotionalen Faktoren von Systemen. Jetzt sollen nicht mehr einzelne Individuen, sondern ganze Kollektive entwickelt werden. Dadurch bleibt Supervision im Prinzip bis heute der „Personenentwicklung“ verpflichtet. Analysen von formalen Konstituenten der Organisationen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld bilden nach wie vor die Ausnahme. Ebenso selten finden wir in Fallbeschreibungen oder Konzeptdarstellungen Auseinandersetzungen mit der Funktionsfähigkeit von Supervisanden in ihrem beruflichen Kontext.
3. Differenzen im Hinblick auf die Veränderungsrichtung von oben oder von unten
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen Supervision und Coaching betrifft die intendierte Richtung der Veränderung. Coaching strebt nämlich Veränderung von oben, Supervision Veränderung von unten an. Wenn z.B. in einer Klinik eine Reihe von Stationen „team-supervidiert“ wird, besteht zumindest unausgesprochen die Idee, man könne auf diese Weise Changeprozesse im Sinne ganzheitlicher Pflege oder einer insgesamt humaneren Haltung gegenüber Patienten von unteren Hierarchie-Ebenen ausgehend einleiten. Wenn man dagegen die Klinikleitung oder den gesamten Leitungskader coachen lässt, besteht von Anbeginn die Intention, Veränderung von oben einzuleiten.
3.1. Supervision und Organisationsentwicklung als Veränderungsmaßnahmen von unten
Aus der kontext-orientierten Phase der Supervision resultierten, wie schon angesprochen, Formen der sogenannten Teamsupervision. Sie schlossen an Konzepte der Organisationsentwicklung an, die aus der gruppendynamischen Bewegung resultierten Dabei wurden Organisationsmitglieder Kleingruppenweise zur Entfaltung ihrer persönlichen Handlungsspielräume, ihrer Autonomie, ihrer Kommunikationsfähigkeit usw. animiert.
Solche Intentionen korrespondierten mit Implikationen des in den 60er Jahren gleichfalls aufgetauchten Modewortes „Team“ (Forster 1978). Es besagt zweierlei: Unter pragmatischen Gesichtspunkten meint es zunächst eine Arbeitsgruppe in Organisationen, die aber in einem normativen Verständnis zu einem mehr oder weniger verdichteten Sozio-emotionalen Kollektiv mit gemeinsamer Leistung, gemeinsamer Verantwortung und gemeinsamer Führung verschmilzt (Wiendieck 1992). Im teamsupervisorischen Setting steht der Supervisor einem solchen sozialen Gebilde gegenüber, das entweder tatsächlich ohne designierte Leitung ist oder dessen Hierarchie wenig erst genommen wird und das durch die Anwesenheit des Supervisors perspektivisch noch „schrumpft“. Auf dem Hintergrund des Teambegriffs ist diese Schrumpfung allerdings durchaus erwünscht. Führungskräfte erleben nämlich in team-orientierten Kontexten oft nur eine geringe Legitimation für ihre Funktion. Und die Geführten in Teams wünschen sich ohnedies maximale Partizipation an allen Entscheidungsprozessen. In Analogie zur Organisationsentwicklung soll dann der Teamsupervisor als Change Agent fungieren, indem er das Team zur Veränderung von der Basis aus animiert. Ein Unterschied besteht lediglich in der Größenordnung: Der OE-Experte fühlt sich für die Veränderung großer Systeme, der Teamsupervisor für die Veränderung kleiner zuständig.
3.2. Coaching als Veränderungsmaßnahme von oben
Im Hinblick auf die Veränderungsrichtung erweisen sich Teamsupervisionen bzw. OE-Projekte geradezu als ideologische Antipoden zum Coaching. Während bei der „Team“-Supervision die Einflusspotentiale des Kollektivs als nicht- oder als schwach hierarchisiertem System schon begrifflich als wesentlicher Faktor aufscheinen, wird durch den Begriff „Coaching“ als Beratungsform für Führungskräfte das Einflusspotential der hierarchischen Spitze betont. Aus diesem Grund nimmt es nicht Wunder, dass Supervisoren, die OE-Konzepten nahe stehen, der Coachingdebatte mit deutlich negativen Affekten begegnen (vgl. Weigand 2001).
Nun wird kaum jemand bestreiten wollen, dass durchschlagende organisatorische Veränderungen prinzipiell der Unterstützung durch Führungskräfte bedürfen. Und in der Managementlehre gilt die Veränderung von Organisationen ohnedies als zentrale Aufgabe von Führungskräften. An externe Change Agents lässt sich diese Managementfunktion auch nicht wirklich delegieren. In der Realität sind Führungskräfte nämlich immer gezwungen, Entscheidungen für die eine oder die andere Unternehmensstrategie, für die eine oder andere Organisationsstruktur usw. zu treffen. Das ist ja eine ihrer positionsbedingten Funktionen. So können sie sich bei Erfüllung ihrer Aufgaben durch externe Berater lediglich „aufrüsten“ lassen. Die Letztentscheidungen müssen sie aber selbst treffen.
Welchen Anteil haben dann untere Hierarchieebenen an Changeprozessen, die durch Coaching begleitet werden? Qualifiziertes Coaching wird gerade die Führungsfunktion möglichst sorgfältig beraten. Dann gilt es Führungskräfte zu animieren, bei allen relevanten Entscheidungen die jeweils betroffenen Mitarbeiter zur Mitwirkung anzuregen. Führungskräfte werden dann die Mitarbeiter um Artikulation ihrer Meinung bitten, ihren fachlichen Rat einholen und ihren menschlichen wie fachlichen Beitrag insgesamt zu würdigen wissen. Führungskräfte werden dann auch in ihren Interaktionen mit allen Beteiligten deutlich machen, dass das Gelinden der gemeinsamen Aufgabe letztlich von denjenigen abhängt, die täglich und stündlich die „eigentliche Arbeit“, nämlich die Sachfunktionen erledigen. Solche Haltung sollte allerdings nicht rein utilitaristischen Erwägungen entspringen, sie erbringt erst dann durchschlagende Wirkungen, wenn es die Führungskraft versteht, ihre Zukunftsvisionen im Sinne „transformationaler Führung“ (Burns 1978) den Mitarbeitern zu vermitteln.
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Zusammenfassung:
In diesem Beitrag werden zentrale Unterschiede zwischen Supervision und Coaching beschrieben. Sie zentrieren sich auf drei Punkte: Zunächst bestehen sie in einer Zielgruppendifferenz, sodann akzentuiert Coaching die Förderung der Funktionsfähigkeit und Supervision die der Person. Und als dritten Punkt strebt Supervision Veränderung unterer hierarchischer Ebenen an, während Coaching Veränderung von der Spitze ausgehend intendiert.
Summary:
This article focused on the difference between coaching and supervision. There are three relevant points: At first supervision and coaching deal with different groups in the organisations, a second point is, that coaching is more professional development, supervision more for the self experience. As a third point, Supervision is change from the bottom and coaching change from the top.